Ariane Meinzer: Der Eihnachtsmann

Der Seniorchef trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte und schaute schmallippig zwischen dem Juniorchef neben und dem armen Sünder vor ihm hin und her. Die adrett geflügelten Betriebsratsmitglieder im Hintergrund verschanzten sich hinter einem Kommentar zum himmlischen Arbeitsrecht und hatten sogar in Anbetracht der Spannung aufgehört, wie ein C-Klasse-Gospel-Chor „Halleluja!“ zu singen.

Der Juniorchef fühlte sich ein wenig zerrissen zwischen seinem legendären Hang, alles zu verzeihen und einer an ihm nagenden persönlichen Kränkung – schließlich ging es um die alljährliche Feier seines Geburtstages auf Erden. Der in sich zusammengesackte Delinquent war nämlich niemand anderes als der Weihnachtsmann, der mit einem kapitalen Brummschädel und abscheulich schlechtem Gewissen aus seiner roten Wäsche schaute.

Er hatte dieses Jahr vor seinem Generaleinsatz deutlich zu viel Wunderberg-Schnaps getrunken, erschien an den Folgetagen nicht zur morgendlichen Lagebesprechung und wurde nach einer groß angelegten Suchaktion friedlich schnarchend in einer Badewanne im Berlin Kreuzberg aufgegriffen. Soweit, so peinlich. Hätte die Chefetage auch gerne als kleinen Zwischenfall abgelegt, wenn da nicht eine fatale Begleiterscheinung des Trinkens gewesen wäre: Der Weihnachtsmann hatte nämlich nach dem dritten Wunderberg einen Buchstaben verloren und war selbst jetzt vor Gericht noch nicht wieder in der Lage, den Buchstaben W auszusprechen. Alle anderen Sprechunsicherheiten wie Stottern und Lallen waren längst überwunden, aber das W wollte trotzdem nicht seinen Weg zurück auf die Zunge des armen Mannes finden.

„Wie konnte es um Himmelswillen soweit kommen“, fuhr der Chef seinen Mitarbeiter an. „und warum hast Du diese komischen Elche mitgebracht, du bist doch sonst immer mit Pferden unterwegs. Mit Pferden auf Erden – der Spruch ist von Dir!!“ Verwirrt schaute sich der Weihnachtsmann um „Elche? ´Elche Elche? Ich ´eiss nicht, von ´elchen Elchen Ihr redet, Herr!“

Die Elche auf Wolke 7 schauten etwas beleidigt drein und informierten Gott, dass der Weihnachtsmann in der fatalen Nacht bei der Sauftour noch oben, in den himmlischen Gefilden, den Stallmeister um Zigaretten anhauen wollte, dabei vage Richtung Schachtel zeigte und eine Spur zu laut rief „Oh, ja, darauf habe ich jetzt total Lust, gibst Du mir ´elche?“

So kam es, dass statt der Pferde 6 Elche den Weihnachtsmann bei seiner Weihnachtstour um die irdischen Häuserblöcke zogen. Nicht ohne eine gewisse Gehässigkeit berichteten sie von den vielen verbalen Kalamitäten, in die er sich ohne das W gebracht hatte. Allein mit dem ständig wiederholten Wunsch „Fröhliche ´Einachten“ hatte er ein massives Glaubwürdigkeitsproblem und wurde vielfach gebeten, sich doch wieder zu Ostern zu melden, da sei man gemeinhin eher in Eierlaune.

Auch Prince Charles in London zeigte sich nicht sonderlich amused, als ihm der ´Eihnachtsmann „Merry Christmas, Prince of ´Ales!“ wünschte.

Einen massiven Eklat gab es dann auch, als er in einem Handarbeitsladen noch Geschenke für eine ältere Dame besorgen wollte und der ergrauten Verkäuferin zurief „Die Olle hätte ich gerne!“ Die Elche grinsten gemein bei der Schilderung, wie sich die Verkäuferin und alle anderen Kundinnen brüllend auf den Angetrunkenen stürzten. Der Weihnachtsmann murmelte kaum für den Chef hörbar „Doofe Spinat´achteln!“

Zu seiner Verteidigung räumten die doch nicht so fiesen Elche später ein, dass er auch an einigen Stationen einen guten Eindruck hinterlassen hatte. So zum Beispiel an der Imbissbude „Zur Krippe – futtern wie bei Muttern“ in Bochum Hochstede, wo er lallend um einen ´Underberg bat und sich mehr als hoch erfreut zeigte, dass es anscheinend dieses exklusiv himmlische Getränk auch auf Erden gab. Er spendierte der anwesenden Trinkakademie gleich mehrere Lagen, wunderte sich nur mäßig über den deutlich anderen Geschmack seines Wunderbergs auf Erden und hatte nach Verlassen der Krippe 10 neue Freunde fürs Leben.

Die Frage des Herrn, wie denn der Weihnachtsmann in der Badewanne gelandet sei, dazu noch in vollem Ornat, konnten aber weder die Elche, noch der Betroffene selber beantworten. Der ´Eihnachtsmann gluckste jedoch behaglich und seufzte „Ach ja.. die Bade´anne…“

Das nicht mehr ganz so junge Gericht schloss danach die hausinterne Verhandlung. Auf Verlangen des sanftmütigen Juniorchefs endete es für den Angeklagten mit einem Freispruch, der Betriebsrat sang Halleluja und der Chef fragte sich, ob er seinen Sohn vielleicht zu antiautoritär erzogen hatte.

Liebe Kinder: Diese Geschichte ist schon vor vielen, vielen Jahren passiert. Dass sie wahr ist, das beweisen die Elche und die noch lebenden Mitglieder der Bochumer Trinkakademie und der Prince of Wales, dessen Ohren noch immer ganz rot sind von der Beleidigung. Ob der Weihnachtsmann inzwischen wieder das W aussprechen kann – das weiß ich aber leider nicht. Da müsst Ihr ihn schon selber fragen, wenn Ihr ihn seht – am besten in einer wunderbaren, wunderschönen, wohligen Winterweihnachtsnacht!

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: